Fabian Reese fotografiert von Ronald Dick
IN EINER WELT, DEREN DNA DURCHZOGEN IST VON KONSERVATIVEN WERTEN UND TOXISCHER MÄNNLICHKEIT, BIETET FUSSBALLSTAR FABIAN REESE (HERTHA BSC) EINEN STARKEN, PROGRESSIVEN KONTRAST. MIT LACKIERTEN NÄGELN UND ANDROGYNER MODE SETZT ER EIN ZEICHEN FÜR VIELFALT UND INKLUSION IM FUSSBALL.
Fabian Reese ist mehr als nur Fußballprofi. Der Offensivspieler von Hertha BSC steht für eine neue Generation im Fußball – progressiv, reflektiert und mit einer klaren Haltung über den Spielfeldrand hinaus. Durch sein unangepasstes Auftreten wurde der 27-Jährige nicht nur zum Fan-Favoriten, sondern auch zum Stilvorbild. Im Interview spricht er mit uns über modische Wagnisse, den Mut zu sich selbst und warum es ihm wichtig ist, als Mensch sichtbar zu sein – nicht nur als Spieler.
Lass uns mit einer persönlichen Anekdote beginnen. Zum ersten Mal wurde mir Ihr Name ein Begriff, als Paparazzi-Fotos von Ihnen, als Sie Nagellack getragen haben, in allen deutschen Boulevardblättern erschienen. Ich dachte: Der traut sich als Fußballer aber was. Wie hat sich dieser Moment rückblickend für Sie angefühlt?
Das ist jetzt schon zwei Jahre her. Damals wollte ich mich von Normen befreien und einfach das machen, was ich wirklich gut finde. Ich wollte ein Zeichen setzen, um den Leuten, die mich sehen, Stärke zu geben und zu sagen: Macht das, was ihr möchtet, was euch inspiriert und was euch erfüllt! Wir als Fußballer können ein Vorbild sein, um Entwicklungen anzustoßen. Allein, weil wir so viele Menschen erreichen.
Ich habe auch vorher schon manchmal Nagellack getragen, als ich noch bei anderen Vereinen unter Vertrag war, aber damals lag noch nicht so viel Aufmerksamkeit auf mir. In dem Fall, über den wir jetzt sprechen, wusste ich, dass es auf jeden Fall Fragezeichen geben würde, gerade in der sehr männlich geprägten Fußballerlandschaft. Das hat mich durchaus Überwindung gekostet. Es war anfangs schwer, so viel Hate zu bekommen, aber ich habe versucht, mich auf die 70 % der Fans zu fokussieren, die mich unterstützt haben. Generell habe ich gelernt: Wenn man erfolgreich ist, ist man weniger angreifbar. Dann wird es eher verziehen, wenn man sich Besonderheiten „herausnimmt“. Aber kaum gibt es Misserfolge, kommen sie umso mehr zur Sprache.
Wann ist Ihnen das erste Mal die Macht von Mode und dem eigenen Erscheinungsbild bewusst geworden?
Schon als Kind war ich relativ mutig und habe das getragen, was ich als gut aussehend empfunden habe. Ich wollte meine Kleidung von klein auf selbst aussuchen. Später habe ich gemerkt, dass man in der Öffentlichkeit deutlich genauer unter die Lupe genommen wird. Aber das muss nicht negativ sein. Wir leben in einer Welt, in der wir uns dauernd abgucken, was wir zu tragen oder wie wir uns zu verhalten haben. Also wollte ich ein Vorreiter sein und zu einer Veränderung beitragen.
Wie sind Sie aufgewachsen? War Ihre Familie Mode-affin? Oder war die Mode etwas, was Sie für sich allein entdeckt haben?
Ich würde nicht sagen, dass meine Familie außergewöhnlich modebewusst war. Zwar hat meine Mutter immer sehr darauf geachtet, wie wir uns gekleidet haben, und sie war auch selbst sehr schick, vor allem hat sie mich aber unterstützt, das zu machen, wozu ich mutig genug war.
von links nach rechts:
Foto 1: HOMME PLISSÉ Sakko 980 €, HOMME PLISSÉ Hose 575 €
Foto 2: FRAME Jacke 555 €
Foto 3: JOSHUA SANDERS Strickjacke 369 €, ROSSI Jeans 299 €, TOM FORD Stiefelette 1.690 €
Foto 4: KITON Mantel 6.900 €, KITON Hose 1.550 €
Was war damals für Sie mutig? Wie sind Sie aus der Reihe getanzt?
Ich habe schon relativ früh mit Farben wie Pink und Rosa herumexperimentiert. Ich hatte lange Haare, bis ich elf oder zwölf war. Auch mein Vater hatte lange Haare, das hat mich bestimmt geprägt. Aber irgendwann habe ich sie abgeschnitten und die verschiedensten Frisuren ausprobiert. Alle sechs Monate wollte ich etwas Neues – verschiedene Farben, einen Vokuhila, einen Buzzcut etc. Vor allem im Nachhinein betrachtet war das auf jeden Fall mutig in meinem Umfeld.
Inwiefern hat Sie das Spiel mit Genderzuschreibungen in der Mode gereizt?
Ich war schon immer sehr offen damit. Noch mehr dank meiner Freundin, die Mode studiert hat. Sie hat mich unterstützt, mein traditionelles Modeverständnis abzulegen und meine feminine Seite in der Mode zu entdecken. Ich $nde es schade, dass das immer noch so häufig als Schwäche gesehen wird, denn ich sehe das ganz klar als Stärke.
Wie würden Sie das Spannungsfeld zwischen Modebewusstsein und konservativen Werten in der Fußballszene beschreiben? Geht es viel um klassisches Showing-off?
Es stimmt schon, dass alles sehr logofokussiert ist und man manchen Spielern ansieht, dass sie jung an zu viel Aufmerksamkeit und Geld gekommen sind. Aber ich will das nicht verurteilen – sich teure Designerartikel zu kaufen, ist für viele der Ausgleich zu jahrelanger harter Arbeit, Schweiß und Kummer.
Verraten Sie gerne noch ein paar mehr Insights über die Fußballerwelt und Mode.
Ich hole mal ein bisschen weiter aus: In jungen Jahren kommt man zu einem Fußballverein, durchläuft dann die Jugend und irgendwann wird man Profi. Wir haben Idole oder Vorbilder um die 28 oder 30 in der Mannschaft, denen wir nacheifern. Irgendwann ist man selbst Anfang 20 und merkt, dass man eigentlich nur eine Kopie dieses Vorbilds geworden ist. So entsteht ein Kreislauf, der immer weitergeht. Meine Generation müsste das durchbrechen und vermitteln: Finde deinen eigenen Weg, mach dein Ding. Dann erst kann der Fußball facettenreicher werden.
Wie würden Sie den Unterschied zwischen Ihren und älteren Generationen an Fußballer*innen beschreiben? Wohin geht die Entwicklung?
Ich glaube, es gibt schon einen sehr großen Unterschied zu älteren Generationen. Die meisten Spieler sahen ähnlich aus und alles, was ein bisschen femininer, bunter, gewagter war, galt als verpönt. Mittlerweile ist alles breiter gefächert. Gerade die Gen Z macht uns was vor, wenn es um Mut geht. Die sind mit Social Media aufgewachsen, sehen dadurch viel mehr von der Welt und sind entsprechend experimenteller.
von links nach rechts:
Foto 1: GIORGIO ARMANI Jacke 3.100 €
Foto 2: CELINE Hemd 890 €, ROSSI Hose 299 €, PRADA Loafer 950 €
Foto 3: DIOR Hemd 610 €
Foto 4: DIOR Hemd 610 € ROSSI Hose 299 €
Was ist in Ihren Augen ein moderner Mann?
In erster Linie ist es immer wichtig, ein guter Mensch zu sein, unabhängig vom Geschlecht. Ein moderner Mann ist in meinen Augen jemand, der Gefühle zeigen kann und Sensibilität nicht als Schwäche sieht. Der weltoffen ist und der sich von dem, was ihm über traditionelle Männlichkeit beigebracht wurde, frei gemacht hat.
Hatten Sie stilistisch gesehen in der Szene ein Vorbild?
David Beckham. Weil er es geschafft hat, dass es im Männersport akzeptiert wird, wenn man Gesichtspflegeprodukte benutzt, ein Beauty-Case in der Kabine hat. Und dass es okay ist, neben dem Fußball ein anderes Leben zu haben und seine Leidenschaften auszuleben. Generell finde ich aber auch Harry Styles oder Billie Eilish sehr inspirierend. Sie lassen sich nicht einfach einordnen. Deshalb haben sie auch so eine starke Fanbase – weil sie sich authentisch zeigen und den Fans eine Chance geben, sie so kennenzulernen, wie sie wirklich sind. Eine Fashion Brand, die ich sehr schön finde, ist Jacquemus. Sie haben eine sehr eigene Ästhetik in der Männermode aufgebaut, indem sie feminine Aspekte in ihre Designs haben einfließen lassen.
Denken Sie, dass gerade Fußball die Power hat, diese Themen in Wohnzimmer zu bringen, in denen sie sonst nicht besprochen werden würden?
Als Fußballer muss dir bewusst sein, dass wir es riesiges Privileg ist, so im Rampenlicht zu stehen. Und dass es dann in gewisser Weise auch deine Aufgabe ist, das Licht auf Themen zu lenken, die für unsere Gesellschaft wichtig sind. Ich sehe es als meine Verantwortung, dafür einzutreten, dass wir morgen in einer besseren Welt leben.
Gibt es einen roten Faden, der sich durch all Ihre Outfits zieht?
Feminine Aspekte im Maskulinen.
Fotografie RONALD DICK · Interview ANN-KATHRIN RIEDL · Styling GÖTZ OFFERGELD · Talent FABIAN REESE
Haare TONY LUNDSTRÖM · Produktion LUIS DANKE · Fotografie-Assistenz MATIAS HENKE · Styling-Assistenz CHIARA ANZIVINO & EDDA SEIBERT · Produktions-Assistenz ELVIN AYANOGLU · Management COREY LEE ANTON